Muss nicht sein: Essen im Alltag

13.08.2013 18:17

 

Halli-hallo, Ihr lieben armen Menschen!

 

Euren Umweltbedingungen habt Ihr Euch hervorragend angepasst. Ergeben bis begeistert schwimmt Ihr mit dem Hauptstrom Eurer Gesellschaft - die Priviligierten wie Federn, die eine hohe Welle reiten. Fühlt sich gut an, solange die Welle nicht bricht, gell? Die einen von Euch müssen den Reichtum erwirtschaften, die anderen mit ihm fertigwerden. Ich habe eine Geschichte für Euch.

 

 

Der kulinarische Arbeitstag der E.-E.

Wie jeden Morgen stand (nennen wir sie:) Eugenie-Egeria (33) um 6:20 auf, um um 6:43 die Wohnung zu verlassen, damit sie um Schlag sieben ihren Dienst als Cleaning Manager beim Vorstand (Prädikat wirklich rein!) beginnen konnte. Früher hatte sie sich morgens noch einen Kaffee gegönnt, aber der war erstens unerschwinglich und zweitens Zeitverschwendung geworden. Noch vor drei Wochen wäre nach einer Stunde Tafelparkett Louis XIV schrubben Frühstückspause gewesen. Heute brauchte Eugenie-Egeria nur die Ex-Küche für das Niederpersonal zu betreten, der Automat erkannte ihren Hautchip und spuckte die tägliche Frühstücksbox für sie aus. Sie klappte den Zugang ihrer Schulterkanüle auf, schloss deren Zugangsschlauch an die Frühstücksbox und heftete die selbstklebende Box außen an den Oberarm. Sogleich spürte sie, wie der zähwarme Frühstückssaft aus Schwarzbrot, Johannisbeerkonfitüre und Kaffee Arabica durch ihre Adern floss. Hätte sie noch vor drei Monaten auf dem Küchenstuhl sitzend zehn Minuten mit Illustriertenlesen vergeudet, konnte sie nun bereits die Speedboatracing- und Cyberhunt-Pokale des Vorstands polieren.

Zu Mittag gab es (sie hatten Antikwoche) laut Displayanzeige Markklößchensuppe, Cordon bleu mit selbstgemachten Kartoffelkroketten und als Dessert Schwarwälder Eisbecher. Eugenie-Egeria konnte die Aromen, Konsistenzen und Temperaturen schwer auseinanderhalten, denn sie verzehrte alles auf einmal und intravenös. Mit einer halben Stunde brauchte der Lunchsaft dreimal so lange wie der des Frühstücks, ehe er im ganzen in ihrer Blutbahn schwamm und sie, während sie ohne zu kauen weiter aß, die aufgenommenen Kalorien bereits in die nächste Aufgabe investieren konnte. So polierte sie mit ihrem Cordovanleder-Lappen sämtliche platinen Türklinken der Vorstandsetage, und das waren einige. Einerseits freute sie sich, wie fit sie sich fühlte, andererseits argwöhnte sie, ob die Herren von der Abteilung WorkFlow nicht bei dem Menü ihre Finger im Spiel und noch einen vierten Gang hochverarbeiteter Lebensmittel hatten beigeben lassen. Zudem grummelte ihr Magen, wohl weil er sich noch nicht daran gewöhnt hatte, dass sie nun ohne zu Kauen satt wurde.

Zum Kaffee gab es italienischen Mokka mit Trüffelpralinen, während Eugenie-Egeria mit aller dem Tropf verdankten Kraft ihrer Tennisunterarme die marmorenen Urinalfliesen reinrieb. So war bereits um 15 Uhr ihr erster 8-Stunden-Job vorbei. Nun musste sie zur Kinderdauerstätte eilen, wo sie eine halbe Stunde lang mit ihrer rundumgeförderten Tochter (12) sprechen konnte, während diese auf dem Ganzkörperreizstrom-Gerät lag.

Um 16h begann bereits ihr zweiter 8h-Job: Tortenverziererin bei einem Exporteur Wiener Konditorkultur. Was würde wohl für Sie auf dem Speiseplan stehen? Durch zwei Jobs wurde sie doppelt satt, wobei dieser Arbeitgeber neben den Infusionen und dem Anblick all der Torten seinen Mitarbeiter etwas besonders bot: zur Steigerung des Sättigungsempfindens fünf Minuten Anblick einer virtuellen Herzhaftmahlzeit inkl. Beschallung mit Schmatz- und Kaugeräuschen.

So gestärkt ging Eugenie-Egeria dann die Nachtpflege ihrer zwar halbdementen, aber wegen ihrer Konsumtauglichkeit weiterlebenden Mutter, leichter von der Hand.

 

 

Na, liebe Menschen, was glaubt Ihr? Wie lange seid Ihr noch von dieser Realität entfernt? Hundert Jahre? Zwanzig? Zehn? Eines? Lasst Euch überraschen!

 

Es grüßt Euch von seinem üppigen Algenbuffet

Eurer Bärtierchen

 

 

 

 

 

 

 

Mittagsmenü in praktischer Infusionskonsistenz: Markklößchensuppe, Cordon bleu mit selbstgemachten Kartoffelkroketten und Schwarwälder Eisbecher